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Die richtigen Knöpfe drücken

Die richtigen Knöpfe drücken
“Haben Sie es geschafft?”, fragt die freundliche Freibaddame mich mit einer Mischung aus Besorgnis und Überraschung im Blick, als ich die Herrendusche verlasse.

Auf meinen Rollator gestützt und blitzeblank stehe ich vor ihr und strahle: “Ja, geschafft!”

“Gestern waren zwei Herren hier, die haben es nicht hingekriegt.” seufzt sie. 

“Das ist das gute Training hier!” antworte ich und muss schmunzeln.

Da war es mir doch tatsächlich einmal gelungen die für mich eigentlich falschen, nämlich die für das starke Geschlecht bestimmten, Knöpfe, zu drücken und Erfolg zu haben! Und das nur, weil ich, wie schon so oft in meinem früheren Leben als Frau, die richtigen Knöpfe ausdauernd aber ergebnislos gedrückt hatte: in diesem Fall die Duschknöpfe der Damendusche. Die waren leider total verklemmt. Wie auch die der Herrendusche, die ich unter diesen Umständen probeweise (zwar unter Kraftanstrengung aber mit Erfolg) nutzen durfte.

Total verklemmt, oder zumindest festgefahren war mein Rollenklischee im Juli 2016 als ich noch dachte, ich sei eine Frau und hätte keine Wahl.  (s. „Bademeiste Blues“, mein Blog vom 31.7.16) Inzwischen habe ich mich gendertechnisch weiterentwickelt und mich von meinen völlig überholten Denkstrukturen lösen können.

Einmal Frau - immer Frau?

Das war einmal. Mit zunehmender Behinderung hatte ich das erste Mal mein Geschlecht gewechselt. Zunächst von mir selbst vollkommen unbemerkt. Mit schwindender Gehfähigkeit verschwand ich nicht nur aus dem Beuteschema vieler männlicher Zeitgenossen und wurde als potenzielle Partnerin zum No Go; auch die öffentlichen Damentoiletten und -duschen wurden für mich unzugänglich. Letzten Endes sah ich mich, nach harten, inneren Kämpfen (und einem kurzen, schockierenden Ausflug in die Herrentoilette), gezwungen, mich von meinem starren Rollenselbstbild „Frau“ zu lösen und das dritte angebotene Geschlecht zu wählen, die Türe mit dem Rollstuhlemblem. Hinter dieser Türe sind wir alle irgendwie gleich, Männlein oder Weiblein, Schlaganfall oder MS, Sportunfall oder Krebs.

Nun komme ich ja vom Dorf, wo die Uhren noch ein wenig anders ticken.  In meinem geliebten Freibad dort, in dem ich - Gott sei Dank - immer mal wieder - aus meinem Alltag abtauchen kann, wird tatsächlich noch differenziert und es gibt zwei Behindertenduschen: eine für Herren und eine für Damen. Das eröffnete mir, als kürzlich sämtliche Duschknöpfe klemmten, die Gelegenheit, meinen gendertechnischen Horizont wieder einmal zu erweitern und in die Duschhemisphere der Herren einzutauchen.

Herrlich war das!

Es kam richtig heißes Wasser aus der Wand, nicht nur das gerade mal lauwarme Nass, mit dem ich mich als Frau jahrelang fröstelnd arrangiert hatte.

Eine SchelmIn, die Böses dabei denkt zwinkerndes Smiley

Als die klemmenden Knöpfe dann repariert waren und ich das erste Mal wieder fröstelnd unter der Damendusche stand, war ich ein wenig frustriert. Und eine bis dato undenkbare Frage keimte in mir auf: als frierende Frau oder unter falschem Etikett duschen? Mit dem lauwarmen Wasser, das von oben auf mich herabrieselte, ging eine weitere Rollenfestlegung in meinem Kopf baden: Ich muss im Leben so oft meinen Mann stehen, dann kann ich das auch im Freibad unter der Dusche!

Also schwamm ich mich frei, löste den klemmenden Knopf in meinem Kopf und fragte, ob ich ab sofort in die Herrendusche kann.

Ich kann 😊



Kommentare

 
Valery 17.08.2020 10:04
Liebe Shirin, wunderbar geschrieben! ich sehe es als eine kleine Erzählung mit literarischen Wert!
und ja, in diesem Sommer gehe ich auch in einem Freibad immer wieder in die Behindertendusche für Herren.
bleibe da cool und mache was mir wichtig ist.
 
Callimaus 17.08.2020 10:06
Schirin kann immer tolle Geschichten schreiben 👍😊
 
Schirin 17.08.2020 10:31
Danke, ich erlebe auch ab und zu tolle Geschichten zwinkerndes Smiley
 
(Nutzer gelöscht) 17.08.2020 10:36
Tolle Geschichte- selbst ist die Frau 😉
 
(Nutzer gelöscht) 17.08.2020 10:57
Schirin, ich musste herzhaft lachen und da kam mir auch gleich eine
kleine Geschichte von früher wieder hervor. Unser Buchhalter konnte
sehr gut mit Zahlen umgehen, doch handwerkliches Geschick fehl am
Platze. Eines Tages ärgerte er ich, daß in der Herrentoilette der Wasser-
hahnen sich nicht drehen ließ und probierte etliche Werkzeuge aus, ohne
Erfolg. Irgendwann musste ich auch mal zur Toilette und anschließend
beobachtete ich seine mühelosen Aktionen. Nach ein paar Sekunden
sagte ich , wie immer freundlich lächelnd, wie wäre es mal, ich weiß jetzt
nicht genau, wie das Teil heißt, in die andere Richtung zu drehen. Er an-
gesetzt und die andere Richtung war die Lösung und der Wasserhahnen
funktionierte wieder. 
Naja, meine Einstellung zu Buchhalten betr. handwerklichem Geschick
hielt ziemlich lange an, bis ich einen "Handwerker" kennenlernte und 
zuletzt feststellte, daß der selbsternannte, von sich voll überzeugte Me-
chaniker als Machheniger (auf Deutsch macht mehr kaputt) agierte.
Und, wie sieht es heute aus? Genau, "selbst ist die Frau" mit vollem
Erfolg und weiß Frau nicht weiter, dann gibt es Handwerksbetriebe mit
ausgebildetem Personal und auf diese Arbeiten kann ich vertrauen, be-
komme Garantie oder Gewährleistung und im Endeffekt um einiges 
billiger😆
 
Thohom 17.08.2020 11:32
Das ist doch bei jedem eine Frage der Selbsteinschätzung, Krebsi.
Ich kann zugeben, wenn ich was nicht selber kann....ich kenne aber oft jemanden, der einen kennt, der das kann...oder mir zumindest erklärt, wie es geht. Die letzte Variante gefällt mir übrigens am Besten.
 
Nordlicht1961 17.08.2020 13:12
Danke für deine tolle Geschichte, Schirin! Gendertechnisch - das Wort ist klasse, das übernehme ich ab sofort in meinen Wortschatz.
Ich bewundere dich für deinen Mut!
 
(Nutzer gelöscht) 17.08.2020 14:07
Der Nobelpreis für Literatur wird bisweilen unverhofft verliehen - so 2016 an Bob Dylan
„für seine poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Songtradition“.

Ah ja - Hallo Oslo, hier ist eine würdigere Kandidatin !

Was hat sich übrigens mit Berlin ergeben: Da wurde doch ebenso unterhaltsam von einem Disput mit der BVG berichtet ?
 
Schirin 17.08.2020 15:17
lachendes Smiley  Krebschen, die ist gut!  lachendes Smiley

@Klaus: eine Entschuldigung von der BVG,  ein nicht ganz ernst gemeintes Jobangebot von deren Marketingabteilung, mehr war nicht drin.
 
(Nutzer gelöscht) 18.08.2020 10:12
JAAAAAAAAAAH!
Klasse Einstellung - klasse geschrieben - sooooo cooooooooooool!
Ganz ganz großes Kompliment
 
Schirin 18.08.2020 14:45
Danke lachendes Smiley
 
(Nutzer gelöscht) 18.08.2020 16:30
Gern!
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